Hallo Imen, vielen Dank für dieses Interview zum Thema „Wie man Feedback gibt und erhält“. Du hast einen Hintergrund in Psychologie und bringst auch Erfahrungen aus der Beratung mit. Wir sind wirklich gespannt darauf, mehr über die besten Tipps und Fakten über effektives Feedback zu erfahren. Lass uns mit den Grundlagen beginnen.
Wie kann man am besten Feedback geben? Was sind konkrete Beispiele?
Die beste Art, Feedback zu geben, ist:
- die Absicht des Feedbacks zu benennen
- und zu erläutern, warum wir es geben
- bestimmte Verhaltensweisen zu benennen, am besten mit Beispielen
- und die Konsequenzen dieser Verhaltensweisen zu beschreiben.
Ideal wäre es, gemeinsam ein neues Verhalten zu überlegen, denn der/die Feedback-Empfänger:in muss das Gefühl haben, dass er/sie selbstständig einen neuen und produktiven Weg einschlagen kann.
Hier ein Beispiel, wie Feedback gegeben werden kann: „In unserer Besprechung vorhin habe ich beobachtet, wie du Lilly unterbrochen hast, als sie XYZ erwähnte. Danach hatte ich das Gefühl, dass sie ihren Gedankengang nicht fortsetzen wollte. Wir brauchten ihre Beobachtungen, weil die für die nächsten Schritte des Projekts relevant sind. Ist dir das auch aufgefallen? Wie können wir das beim nächsten Mal verhindern?“
Wie gibt man Vorgesetzten Feedback? Welche besonderen Aspekte sollte man beachten?
Aufwärtsgerichtetes Feedback ist heikel, da es riskanter scheint als „normales“ Feedback. Entscheidend ist, dass wir überlegt und professionell vorgehen und der Führungskraft zu verstehen geben, dass wir das Unternehmen, den Ruf oder sogar ihre Werte im Auge haben. Wenn dies der Fall ist, kann das Feedback als Bereicherung und nicht als potenzielle Bedrohung angesehen werden.
Wenn das Aufwärts-Feedback direkt mit der Wertschöpfung verbunden ist, liegt es auch im Interesse der Führungskraft.
Es ist auch wichtig, dass die Führungskraft versteht, warum dieses Feedback von Vorteil ist und, dass die Feedback-Gebenden Verbündete und keine Gegner:innen sind. Gleichzeitig ist es wichtig, ruhig, klar und selbstbewusst zu kommunizieren, um die Auswirkungen zu verdeutlichen.
Führungskräfte sind darauf angewiesen, dass man ihnen sagt, was im Unternehmen vor sich geht und wie sich das eigene Verhalten auf die Produktivität der Mitarbeitenden auswirkt – es kommt nur darauf an, wie man es vermittelt, anstatt es gar nicht zu vermitteln. Wenn das Aufwärts-Feedback direkt mit Wertschöpfung verbunden ist, liegt es auch im Interesse der Führungskraft und es sollte nicht zu einem „Machtkampf“ oder anderen riskanten Missverständnissen kommen.
Wie kann ich Feedback am besten erhalten und darauf antworten? Insbesondere dann, wenn ich dem Feedback nicht zustimme?
Feedback zu erhalten ist eine Kunst für sich. Manchmal können wir nicht anders als Dinge persönlich zu nehmen. Wenn das Feedback jedoch konstruktiv gegeben wird, ist es eine wertvolle Chance für uns, zu wachsen.
Hier sind einige meiner persönlichen Tipps, an die ich mich erinnere, wenn ich Feedback erhalte:
- Ich lasse die Person, die mir das Feedback gibt, ausreden, auch wenn ich den Drang verspüre, mein Verhalten und meine Absichten dahinter zu rechtfertigen.
- Ich lasse das Feedback einen Moment auf mich wirken und versuche, die Situation aus der anderen Perspektive zu bewerten.
- Ich persönlich empfinde es als Sahnehäubchen, wenn Menschen sich bei ihrem Gegenüber für das Feedback bedanken, deshalb bedanke ich mich auch für die Transparenz mir gegenüber.
- Wenn mir etwas nicht klar ist, bitte ich um ein konkretes Beispiel, damit ich eine konkretere Möglichkeit habe, daraus zu lernen.
- Wenn ich immer noch das Gefühl habe, dass es nicht gerechtfertigt und aus dem Zusammenhang gerissen ist, gebe ich Hintergrundinformationen, nachdem sie mit ihrem Standpunkt fertig sind, damit sie das ganze Szenario verstehen.
Wenn das Feedback jedoch überhaupt nicht stichhaltig ist, ziehe eine dritte Person hinzu, die die Situation beobachtet hat, und lass sie die Situation auch aus ihrer Sicht beschreiben. Letztendlich liegt es an uns, wie wir das Feedback auffassen und was wir daraus machen. Auch wenn es sich vielleicht so anfühlt, sieh es eher aus einer distanzierten Sicht und nicht als potenziellen Angriff. Wenn diese Erwartungshaltung vorhanden ist, fühlt es sich besser an, Feedback zu bekommen.
Wie kann ich nach Feedback fragen?
Da Feedback eine große Chance für Wachstum ist, ist es von Vorteil, es aktiv einzuholen. Wenn du dich nicht nach jeder Aufgabe an deinen Vorgesetzten wenden willst, um zu sehen, wie gut du deinen Job gemacht hast, bitte lieber um einen routinemäßigen Jour fixe, um genau das zu besprechen.
Je nach Struktur deines Arbeitsplatzes können die Intervalle zwischen wöchentlich und zweimonatlich liegen. Dann hast du einmal offiziell um ihre Zeit und ihren Beitrag zu deiner Leistung gebeten, aber du hast auch eine wiederholte Gelegenheit, über Fortschritte zu sprechen.
Gehe auch zu deinen Kolleg:innen und frage sie, wie sie die Zusammenarbeit mit dir empfinden. Schreibe die Bereiche auf, in denen du dich weiterentwickeln möchtest, und geh ihnen nach, um zu sehen, ob sich Verbesserungen ergeben haben. Das zeigt auch, dass du ihr Feedback schätzt, dass du es ernst genommen hast und es umsetzen willst. Wenn Feedback effektiv ist, kann es eine Wachstumsmentalität in der Belegschaft fördern und zum Unternehmenserfolg beitragen.
Wie kann sich Feedback auf unsere mentale Gesundheit auswirken?
Der Prozess des Gebens und Empfangens von Feedback ist in einem Arbeitsumfeld unvermeidlich und unerlässlich. Der Arbeitsplatz ist nicht nur eine Einrichtung, in der wir freiwillig den größten Teil unserer Zeit verbringen, sondern er ermöglicht uns auch den Bau eines Hauses, die Versorgung unserer Familien, die Möglichkeit, in den Urlaub zu fahren… und schließlich unsere Existenz.
Es ist sehr wichtig, sich der Verantwortung, die mit Feedback einhergeht, bewusst zu sein
Wenn wir befürchten, dass unser Lebensstil oder unsere Stabilität gefährdet sein könnten, weil uns jemand ein nicht so positives Feedback gegeben hat, kann uns das ängstlich machen, uns zu viele Sorgen bereiten und unsere Stimmung trüben. Wenn wir uns häufig fürchten oder Sorgen machen, kann dies zu einem (manchmal chronischen) unerwünschten Ergebnis führen, z.B. zu Burnout.
Es ist daher sehr wichtig, sich der Verantwortung bewusst zu sein, die man trägt, wenn man jemandem ein Feedback gibt und wenn man ihm seine Auswirkungen auf sein Umfeld mitteilt. Gleichzeitig ist es wichtig, Feedback nicht zu persönlich zu nehmen, sondern es als Chance für Wachstum zu sehen.
Wie verhalten sich Feedback und Unternehmenskultur zueinander?
Was ich mir immer wünsche, sind mehrere kleine Aha-Momente, in denen das Gehirn sehr glücklich ist ~Kim Scott, Autorin von Radical Candor
Wo es eine Gruppe von Menschen gibt, gibt es automatisch eine Kultur, eine Atmosphäre.
Jede Organisation möchte, dass sich ihre Mitarbeitenden befähigt fühlen. Befähigen heißt lehren. Lehren bedeutet Feedback zu geben. Erfahrene Manager:innen Wissen, wie man sowohl positives als auch negatives Feedback zur Leistungsverbesserung gibt und erhält.
Es gibt jedoch genügend Szenarien, in denen Organisationen kein psychologisch sicheres Umfeld bieten, um zu gedeihen. Organisationen, die politisch, hierarchisch und einfach destruktiv sind. In solchen Umgebungen hat Feedback keine positive Konnotation, und die Mitarbeitenden können sich nicht auf diese normalerweise positive Erfahrung für ihre Entwicklung einlassen.
Eine gesunde Unternehmenskultur, die auch psychologische Sicherheit beinhaltet, ist die Grundlage für die Entfaltung der des Potentials der Mitarbeitenden und dafür, dass Feedback nicht gefürchtet, sondern angenommen wird.