Das Imposter-Syndrom: Wie du Selbstzweifel am Arbeitsplatz überwindest

12.9.2024

Im Berufsalltag erleben viele Menschen das sogenannte Imposter-Syndrom, ein psychologisches Phänomen, bei dem trotz offensichtlicher Erfolge und Anerkennungen ein intensives Gefühl von Selbstzweifeln verspürt wird. In diesem Artikel beleuchten wir, was hinter dem Imposter-Syndrom steckt, wie es sich im Arbeitsalltag äußert und welche Strategien helfen können, um es zu überwinden.

Lisa Brinks: Likeminded Autorin & Psychologin

Inhalt

Was ist das Imposter-Syndrom?

Definition

Das Imposter Syndrom, auch als Hochstapler-Syndrom bezeichnet, beschreibt einen psychologischen Zustand, in dem Menschen trotz offensichtlicher Kompetenz und erzielter Erfolge starke Zweifel an ihren Fähigkeiten haben und eine tiefgreifende Angst verspüren, jederzeit als Betrüger:innen entlarvt zu werden. 

Einordnung

Dieser Zustand wird nicht als psychische Störung, sondern als Persönlichkeitsmerkmal betrachtet, das in unterschiedlichen Ausprägungen erlebt werden kann. Es äußert sich durch die Tendenz, eigene Leistungen nicht der eigenen Kompetenz, sondern externen Faktoren wie Glück oder Zufall zuzuschreiben, anstatt sie als Resultat der eigenen Fähigkeiten anzuerkennen.

Erleben

Darüber hinaus ist es eng mit dem Erleben von Selbstzweifeln und sozialer Angst verbunden. Es führt dazu, dass die betroffenen Individuen ihre eigenen Leistungen systematisch unterbewerten und externe Ursachen für ihre Erfolge überbewerten. Die damit verbundene Diskrepanz zwischen eigener Wahrnehmung und externer Validierung führt oftmals zu einem Zyklus aus Unsicherheit und Stress, besonders in neuen oder herausfordernden beruflichen Situationen. 

Forschung

Die erste umfassende Forschung zu diesem Thema wurde durch Dr. Pauline Rose Clance geprägt und fokussierte sich auf erfolgreiche Frauen in akademischen und beruflichen Umfeldern. Aktuelle Forschungserkenntnisse zeigen jedoch, dass das Imposter-Syndrom eine breitere Bevölkerungsgruppe betrifft und dass es als ein verbreitetes psychologisches Muster zu verstehen ist, das durch soziale und persönliche Faktoren beeinflusst wird. Obwohl es sowohl bei Männern als auch bei Frauen gleichermaßen auftritt, neigen Frauen dazu, ihre Erfahrungen mit dem Syndrom offener zu kommunizieren.

Wie zeigt sich das Imposter Syndrom im Arbeitsalltag? 

1. Perfektionismus, um Angst und Unsicherheit zu kaschieren

Menschen, die mit den Herausforderungen des Imposter Syndroms konfrontiert sind, erleben häufig ein Gefühl anhaltender Selbstzweifel und beruflicher Unsicherheit und haben die ständige Angst, nicht gut genug zu sein. Sie befürchten oft, in ihrer beruflichen Rolle als unzureichend entlarvt zu werden, besonders wenn andere ihre vermeintlichen Schwächen bemerken könnten. 

Um diese Unsicherheiten und Selbstzweifel zu kaschieren, neigen Menschen mit dem Imposter-Syndrom häufig dazu, diese durch übermäßigen Perfektionismus zu kompensieren. Sie setzen sich selbst unter Druck, jede Aufgabe fehlerfrei zu erledigen, in der Hoffnung, ihre vermeintlichen Mängel zu verbergen.

Beispiel: Ein:e Mitarbeiter:in könnte trotz sorgfältiger Vorbereitung eines wichtigen Meetings, einer fehlerfreien Durchführung und durchweg positivem Feedback weiterhin das starke Gefühl erleben, dass ein einziger kleiner Fehler im nächsten Meeting ausreichen könnte, um die eigene Unfähigkeit zu offenbaren und den Job zu verlieren.

2. Übermäßige Angst vor Kritik

Ein weiteres zentrales Merkmal des Hochstapler-Syndroms ist die ausgeprägte Sorge vor Kritik, welche die Menschen mit Hochstapler-Gefühlen dazu bringt, Feedbacksituationen als potenziell bedrohlich zu empfinden. Diese intensive Angst vor Kritik verstärkt das Bedürfnis, Fehler um jeden Preis zu vermeiden, was den Zyklus des Perfektionismus weiter antreibt und die Angst verstärkt, als Hochstapler:in enttarnt zu werden. 

Dieses Muster des Überkompensierens spiegelt sich oftmals in dysfunktionalen Glaubenssätzen und kognitiven Verzerrungen wider, welche die Selbstwahrnehmung und das Verhalten von Menschen mit dem Hochstapler-Syndrom prägen. Zu den typischen Überzeugungen zählen Gedanken wie diese:

  • "Ich habe das nur geschafft, weil ich Glück hatte."
  • „Die anderen werden herausfinden, dass ich nicht die Fähigkeiten habe, die sie mir zuschreiben.“
  • „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis klar wird, dass ich nicht so kompetent bin, wie die anderen denken.“
  • "Früher oder später wird jemand bemerken, dass ich überschätzt werde."

3. Missachtung der eigenen Grenzen

Diese tief verwurzelten Glaubenssätze und Überzeugungen führen oftmals zu einer Missachtung der eigenen Grenzen und einer Überarbeitung, geprägt durch einen Teufelskreis aus Unsicherheit, Angst und Stress. Die dadurch oftmals entstehende Belastung der Psyche und des Körpers kann darüber hinaus zu einem Burnout führen, da die betroffenen Personen ständig versuchen, sowohl ihren eigenen unrealistischen Erwartungen als auch den angenommenen Erwartungen anderer gerecht zu werden.

Daher können die Symptome des Imposter-Syndroms am Arbeitsplatz nicht nur die individuelle Leistung beeinträchtigen, sondern auch erhebliche Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit haben.

Wie entsteht das Imposter-Syndrom?

Die Entstehung des Imposter-Syndroms kann auf eine Reihe von Faktoren zurückzuführen sein, die sowohl persönliche als auch soziale Faktoren umfassen. Einige der Schlüsselfaktoren sind frühe Kindheitserfahrungen, individuelle Persönlichkeitseigenschaften, Verzerrungen in der Wahrnehmung sowie das gesellschaftliche und berufliche Umfeld:

Frühe familiäre Einflüsse: Eine von hohen Leistungserwartungen geprägte Kindheit und Jugend kann zu der tief verwurzelten Überzeugung führen, nur dann Anerkennung zu verdienen, wenn eine herausragende Leistung erbracht wird. Der damit zusammenhängende Leistungsdruck kann das Fundament für anhaltende Selbstzweifel legen ("Ich bin nur dann gut genug und liebenswert, wenn ich außergewöhnliche Leistungen erbringe").

Persönlichkeitseigenschaften: Menschen, die zu Ängstlichkeit und Perfektionismus neigen, sind besonders anfällig für das Imposter-Syndrom. Diese Persönlichkeitszüge führen dazu, dass selbst kleine Fehler als katastrophal wahrgenommen und die eigenen Leistungen ständig kritisch hinterfragt werden. Ein möglicher Glaubenssatz könnte sein: "Ich muss alles perfekt machen, sonst bin ich ein:e Versager:in."

Verzerrte Wahrnehmung: Die übermäßige Fokussierung auf die persönlichen Schwächen und die fehlerhafte Interpretation von Arbeitsleistungen, bei der Erfolge und Leistungen nicht den eigenen Fähigkeiten zugeschrieben werden, können das Gefühl verstärken, nicht gut genug zu sein und begünstigen eine verzerrte Wahrnehmung der eigenen Kompetenzen und Leistungen ("Andere sind natürlicherweise talentierter und kompetenter als ich."; „Ich habe das nur geschafft, weil ich Glück hatte.“).

Berufliches Umfeld: Ein Arbeitsumfeld, das auf Leistung, Erfolg und Wettbewerb ausgerichtet ist, kann das Gefühl, nicht ausreichend zu sein, verstärken. Insbesondere der Vergleich mit erfolgreicheren oder als kompetenter wahrgenommenen Kolleg:innen kann zu Gefühlen des Imposter-Syndroms führen. Ein verbreiteter Glaubenssatz in solchen Umfeldern ist: "Ich muss ständig mehr erreichen, um meinen Wert zu beweisen.".

Strategien zur Überwindung des Imposter Syndroms

Die Bewältigung des Imposter Syndroms erfordert ein tiefes Verständnis für die eigenen Denk- und Verhaltensmuster sowie die Umsetzung konkreter Strategien, um die negative Selbstwahrnehmung zu überwinden und die Diskrepanz zwischen der Selbst- und Fremdwahrnehmung zu verringern und letztendlich das Selbstbild zu stärken. 

Im Folgenden werden hilfreiche Strategien zur Überwindung des Imposter Syndroms am Arbeitsplatz vorgestellt. Es empfiehlt sich, verschiedene Strategien geduldig auszuprobieren und sich darüber bewusst zu sein, dass die zugrunde liegenden Denk- und Verhaltensmuster des Imposter Syndroms oftmals in der Vergangenheit erlernt wurden und möglicherweise eine schützende Funktion hatten.

  1. Sich seiner Stärken bewusst werden: Ein zentraler Schritt besteht darin, sich der eigenen Stärken bewusst zu werden. Dies kann durch Selbstreflexion, psychologische Fragebögen oder durch Feedback von Kolleg:innen und Mentor:innen erfolgen. Die Identifikation der eigenen Stärken hilft dabei, das Selbstvertrauen zu stärken und die Basis für eine positive Selbstwahrnehmung zu schaffen.
  1. Erfolge in einem Erfolgstagebuch dokumentieren: Das Führen eines Erfolgstagebuchs ist eine effektive Methode, um die eigenen Leistungen und Erfolge sichtbar zu machen und anzuerkennen. In diesem Tagebuch sollten sowohl große als auch vermeintlich kleine Erfolge reflektiert werden, um positive Erfahrungen zunehmend zu internalisieren und als Resultate der eigenen Fähigkeiten und Anstrengungen anzuerkennen.

    Beispielsweise können am Ende jeder Woche drei positive Ereignisse notiert werden, bei denen eigene Anstrengungen und Fähigkeiten maßgeblich zum Erfolg geführt haben (z.B. sich selber erlaubt, an einem stressigen Tag eine Pause zu nehmen; das Meeting erfolgreich durchgeführt und positives Feedback erhalten).
  1. Lob annehmen: Viele Menschen, die das Imposter-Syndrom erleben, tendieren dazu, Lob abzutun oder dessen Bedeutung herunterzuspielen (A: „Das hast du super gemacht.“ – B: „Ach Quatsch, das ist doch selbstverständlich.“ oder A sagt: „Du hast unsere Kund:innen durch deine transparente Kommunikation sehr beeindruckt.“ – B denkt: „Das sagt Kollegin A nur, weil sie meine Kollegin ist.“).

    Durch das proaktive Einholen von Feedback und die bewusste Annahme positiver Rückmeldungen können die eigenen Leistungen gewürdigt und das Selbstbild gestärkt werden. Insbesondere als neue:r Manager:in kann das Imposter-Syndrom besonders herausfordernd sein. Um es zu überwinden, ist es auch hier wichtig, aktiv Feedback zu suchen und dieses konstruktiv zu nutzen, um die eigene Führungsfähigkeit zu stärken.
  1. Stärkung eines positiven inneren Dialogs: Indem man kritische innere Stimmen erkennt und hinterfragt, können destruktive Gedankenmuster durch konstruktive ersetzt werden. Dies kann durch regelmäßige Selbstreflexion und Beobachtung der eigenen Gedanken- und Verhaltensmuster sowie durch ein unterstützendes Coaching gelingen.

    Mit dem Ziel, das eigene Mitgefühl zu stärken und eine liebevolle Gegenstimme zur/zum innere:n Kritiker:in zu entwickeln („Ich bin stolz auf mich.“, „So wie ich bin, bin ich genau richtig.“, „Ich schaffe das.“, „Ich glaube an mich.“). Diese Strategie fördert einen mitfühlenden und stärkenden inneren Dialog, der es ermöglicht, Selbstzweifel zu reduzieren und das Selbstwertgefühl zu steigern.

Die Rolle der Organisation

Neben der individuellen Ebene kommt der Organisation eine entscheidende Rolle bei der Prävention und Bewältigung des Imposter Syndroms zu. 

Eine offene und psychologisch sichere Arbeitsumgebung ist entscheidend, um eine Kultur zu fördern, in der Mitarbeitende sich frei fühlen, ihre Bedenken und Belastungsgrenzen ohne Angst vor Kritik oder Urteil zu äußern. Dies schließt die Etablierung einer Fehlerkultur ein, in der Fehler als Teil des Lernprozesses akzeptiert und nicht als Misserfolge betrachtet werden. 

Dadurch werden Mitarbeitende dazu ermutigt, ihre eigenen Stärken zu erkennen, neue Wege auszuprobieren und sich durch die daraus entstehenden Erfahrungen stetig weiterzuentwickeln, wodurch letztendlich das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten gestärkt wird.

Ein regelmäßiger Abgleich von Selbst- und Fremdwahrnehmung kann ebenfalls hilfreich sein, um realistische Selbstbilder zu fördern. Dazu können beispielsweise Formate für Team-Reflexionen wie Retro-Meetings und regelmäßige Feedbackgespräche genutzt werden. 

Entscheidend ist dabei ein wertschätzender und offener Umgang mit Fehlern und Feedback sowie das Bewusstsein, dass jede:r von den Gefühlen und Gedanken des Imposter Syndroms betroffen sein kann und wir neben individuellen Strategien vor allem ein psychologisch sicheres Arbeitsumfeld benötigen, um diese Hürden bewältigen und langfristig gesund arbeiten zu können. 

Die wichtigsten Erkenntnisse

Insgesamt zeigt sich die Komplexität des Imposter-Syndroms, das tief in den psychologischen und sozialen Strukturen verankert ist, in denen Menschen leben und arbeiten. Die Anerkennung und das Verständnis dieses Phänomens und der damit verbundenen Muster sind der erste Schritt zur Überwindung der damit verbundenen Ängste und Unsicherheiten. 

Durch Aufklärung und gezielte Unterstützung können Menschen mit Hochstapler-Gedanken lernen, ihre Leistungen realistisch zu bewerten und ein gesundes Maß an Selbstakzeptanz zu entwickeln. Die Auseinandersetzung mit den tief sitzenden Überzeugungen und der Aufbau einer unterstützenden und psychologisch sicheren Arbeitsumgebung sind dabei entscheidende Schritte für die Entwicklung effektiver Präventions- und Bewältigungsstrategien im Umgang mit dem Imposter Syndrom.

Quellen
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